Der Tross der „Sympathisch-Verrückten“
Deutschlandtour historischer Nutzfahrzeuge hält in Markranstädt / Geschlafen wird über einer Bierkiste
Markranstädt. In Sachen Fahrzeugtechnik gilt das Markranstädter Unternehmen Frank Fahrzeugbau als einer der modernsten Standorte Sachsens. Was sich allerdings in den letzten Tagen dort abspielte, wirkte wie eine Zeitreise in ein vergangenes Jahrhundert. Insgesamt 86 tollkühne Fahrer in ihren rollenden Kisten fuhren im Gewerbegebiet Frankenheim vor. Hinter den Enthusiasten und ihren Begleitern lagen 180 anstrengende, teilweise holprige Kilometer auf der ersten Etappe der diesjährigen Deutschlandtour für historische Nutzfahrzeuge.
Während sich technikbegeisterte Oldtimer-Fans mit Kind, Kegel und Kamera scharenweise durch den Parcours abgestellter Fahrzeugveteranen drängen, bereiten sich die Teilnehmer der Tour auf die nach jeder Etappe übliche Prozedur vor. Tische und Stühle werden von den Ladeflächen geräumt, das Nachtlager wird vorbereitet, hier und da zischt ein kühles Bier. Campingstimmung macht sich breit. Nachdem die letzten Schaulustigen gegangen sind, beginnt das Biwak. Man sitzt am Grill, erzählt von den erlebten Abenteuern auf der Landstraße, fachsimpelt über alte Motoren und längst vergessene Hersteller.
Vom Textiltransporter zur mobilen Wohnung
In ihrem zwölf Meter langen Sattelauflieger, den sie vor 30 Jahren zu einer kleinen Wohnung umgebaut hat, sitzt Familie Anhalt aus Heide in Schleswig-Holstein. „Die Tour lebt von sympathisch-verrückten Leuten“, erzählt Horst Anhalt. Es sei eine große Familie, in der alle den gleichen Tick haben. Gattin Gudrun ergänzt: „Dass muss man auch als Ehepartner mittragen, sonst wird das nichts. Es ist immer wieder ein Abenteuer, mit so alter Technik durch die Gegend zu fahren.“ Der Auflieger, in dem sie die Zeit zwischen den Etappen verbringen, sei in diesem Jahr 60 Jahre alt geworden und habe schon mehrere Millionen Kilometer auf der Uhr.
„Bis 1990 wurden damit hängende Textilien zwischen Deutschland und Marokko hin und her gefahren“, weiß Horst Anhalt. Nachdem er den Oldie gekauft hatte, wurde er zu einer gemütlichen Wohnung umgebaut, mit Küche, Schlaf- und Wohnzimmer . „Es ist beruhigend, wenn man die Unterkunft mit sich führt“, erzählt der 80-Jährige von der Tour 2002, als man sich in Frankreich völlig verfahren hatte. „Meine Frau war sehr aufgewühlt, hatte sogar Tränen in den Augen“, erinnert sich Anhalt. Das legte sich, als er darauf hinwies, dass gar nichts passieren könne . „Notfalls halten wir an, machen uns einen Kaffee oder schlafen erstmal eine Runde.“ So eine fahrbare Wohnung sei nicht mit Geld aufzuwiegen.
Wer zuerst schläft, muss das Geschnarche nicht hören
Etwas kleiner und rein auf die Funktion abgestellt ist das Lager von Klaus Frank. Der Senior-Chef von Frank Fahrzeugbau hat das Schlafzimmer in den alten Framo eingebaut. Oldtimer-Träume auf 3,84 Quadratmetern, schlicht zwar, aber bis ins Detail durchdacht. „In den Stauraum unter der Liegefläche passt saugend ein Kasten Bier rein“, lacht der 78-Jährige. Wenn er sich mit seinem Teamkollegen Dieter Stephan nach einer Etappe auf die Nachtruhe vorbereite, zähle ein kräftiger Schlaftrunk zum Ritual. „Wir schnarchen beide“, erklärt Klaus Frank, „Da hat der die besten Karten, der zuerst schläft. Das ist schon eine Art Wettbewerb.“
Obwohl viele der Teilnehmer fast so alt sind wie ihre Fahrzeuge, sind die gemütlichen Feierabendrunden und das Übernachten auf dem eigenen Fahrzeug feste Bestandteile der Tour. Sie sind wirklich wie eine große Familie, diese Sympathisch-Verrückten aus allen Teilen Europas. „Und wir sind bestens gerüstet. Für Notfälle haben wir sogar einen Arzt im Tross“, berichtet Horst Anhalt. Tatsächlich sind die Kompetenzen des Chirurgen Peter Kraas aus Hattingen an diesem Abend gefragt. Sein Opel Blitz, Baujahr 1943, leidet an akutem Organversagen. Auf dem Weg vom Harz nach Markranstädt hatte die Lichtmaschine den Geist aufgegeben. Unter den kritischen Blicken schaulustiger Besucher führt Kraas eine Operation an der offenen Motorhaube durch. Wieder so ein Abenteuer, von dem die Tour lebt.
Quellennachweis: LVZ vom 7. September 2021, Redakteur: Rainer Küster, Fotos: André Kempner